Ankommen und Kontakte knüpfen
Sein Blick streift Gepäck, meine Augen, Passpapiere und die Dokumente der University of Queensland (UQ). „You’re going to study?“, „Yes, Sir“, steht doch auf den Papieren drauf. Ich passiere zwei, drei weitere Fragen und darf gehen. Die durch Anlagen erzwungene Kühle des Flughafens wird abgelöst durch die 38 Grad-Hitze des zehn Uhr frühen Februar-Morgens in Brisbane. Vom Airport versetzt es mich in einen Van des Abhol-Service der UQ. Konversation mit der Fahrerin: Wetter hier, Wetter in Deutschland, Einwohner hier, Einwohner in Deutschland, dieses hier und jenes dort... Das Gespräch, die Fahrt wird unterbrochen von geschreiartigen Remarks: „Look at this, wow, wow! ... What’s that, what’s that, wow, wow?“ Neben mir: Ein Koreaner, Duck, genannt wie Ente, aus der mit Betonappartementblöcken verstopften Metropole Soul, der sich aufgrund des Grüns in der Stadt, der relativ großzügigen, teilweise hölzernen Familienhäuser und der Gärten, die die ein oder andere Wohngegend schmücken, kaum noch einkriegen kann. Für mich sieht’s aus wie in Amerika, er sieht eine andere Welt. Der Deutsche in mir ringt sich ein Lächeln, ein zustimmendes „Yeah“ ab. Zusammen landen wir, der Deutsche und der Koreaner, im Backpackers Palace und starten in eine neue Zeit.
Eine Woche später, 46 Dell Road: Jemand belegt seinen in der Pfanne fett verbratenen Toast mit Schinken, Käse und Marmelade. Sein eigenes Urteil: „Wow, it doesn’t taste!“ Western Food, für manchen eine Entdeckungsreise. Dem euphorischen Koreaner habe ich die Treue gehalten. By the way hat sich sein richtiger Name als Duck-Ho herausgestellt, was auf Dauer leider die Pointe versaute. Zur „Crew“ hinzu kam schon bei der Foreign-Student-Welcome-Party am Ankunftstage ein friesischer Student namens Gonn. Das lud zu neuen Pointen ein: „Who is gone?“, „Where is Gonn? – Gone!“ Die Vermittlung dieses deutsch-deutschen Aufeinandertreffens hatte übrigens ein Bilderbuch-Aussie namens Tim übernommen: Langer Kerl mit langen, einige Zentimeter vor den Schultern haltmachenden, offen getragenen Haaren, begleitet von einem stets fröhlichem Grinsen. Dieses gepaart mit der Coolness des Sunny-Surfer-Boys, welcher in den dazugehörigen Shorts seine vorgestellte Vollendung findet. Er war also derjenige, der mit und dank seiner Bier- und Literaturkenntnisse zum engsten Freund und Besucher von 46 Dell Road avancieren sollte. Der vermeintlichen Ironie zum Trotze, trifft beides zu: Bier wie Literatur. Dass er nicht surfen konnte, hat uns dabei nicht gestört.
Das gelebte "No worries"
Stören lässt sich der Australier als solcher wohl auch von nichts. Der demütige, im Land unter dem Southern Cross gerade angekommene Teutone fragt den Busfahrer: „Sorry, Sir, may I ask you…“ „Don’t feel sorry man, just feel happy!“ Welcher professionelle Omnibuspilot in Paris, London oder Berlin hätte wohl so reagiert? „No worries – Keine Sorgen.“ Der Leitspruch einer Nation, der vorder- wie hintergründig vieles dieses Landes preisgibt. Hier, Down Under, heißt es stets „No worries“. Auch wenn man es mit „Macht nichts“ übersetzen wollte, so fehlt im Land der hüpfenden Tiere doch jener in Europa häufig mitschwingende negative Unterton. Der Vorwurfston, der das lockere „Macht nichts“ in ein „Macht doch was“ überträgt. Die Töne dieses Landes werden vielmehr in der Musik der Weite und Ewigkeit, den Farben der Natur und der Wärme der Sonne ganz anders zusammen komponiert. Ergeben Melodien des Alltags, die in ihrer einfachen Leichtigkeit bestechen, verlocken, bei der aber auch viele in ihrer einfachen Leichtigkeit versacken. Und diejenigen, denen es hier gelingt, „No worries“ im Herzen zu tragen, aber dennoch die Augen aufzuhalten, die Welt um sich herum nicht ignorieren zu lernen, sind die Helden des Lebens und dieses Landes. Unser Literatur- und Bier-Tim ist einer von ihnen.
Zusammenkommen und Zusammenbleiben
However, der Schauplatz der nächsten Wochen und Monate war und ist auch heute noch ein Steinwurf vom Campus der UQ entfernt. Dort hatten sieben Leute aus fünf Ländern ein Riesenhaus samt Gärtnerbetreutem Garten und Hausnummer 46 gemietet. Ein Haus, in dem vier Jungs ihre Boxershorts und drei Mädels ihre Bikinis bis in den späten Mai ausführten. Danach wurde es auch im mit Sonne verwöhnten Sunshine-State
allmählich kälter. Eine Kälte, die unsere einzige Native-Speakerin, Joey from Tasmania, zum Tragen von Schneeboots und Skifahrerjacken veranlasste. Doch wer von dieser Insel am Rande Australiens und am Ende der Welt kommt, schätzt sich glücklich, Anlässe zum Bootstragen zu finden. Utensilien, die eine andere von uns nie nötig hatte: Marie (Aussprache: Marieä’) aus Norwegen. Die Blonde, die für jeden Spaß und jede Party zu haben war, hatte nach beiderseitigem und zwei Tage andauerndem Blickkontakt beim UQ Accommodation-Service zu uns gefunden. An dem Ort also, an dem sich alle vorläufig Wohnungslosen tummelten, um Ausschau nach Zimmern wie Häusern zu halten. Eine koreanisch-deutsch-norwegische Suchgemeinschaft war gebildet. Australisch-japanische Verstärkung kam dann per Anzeige und nach hartem Kreuzverhör hinzu. Sie komplettierte unsere Suchgemeinschaft, auch wenn ein Haus schon gefunden war.
Eine Suchgemeinschaft in vielerlei Hinsicht: Es galt, in der anfänglichen Uni-Orientierung sowie in der nie endenden Lebensorientierung gemeinsam zu suchen. Eine Suche, gewürzt mit den kulturellen Entdeckungen der Fünf-Länder-Gemeinschaft. So kannte unsere Marie beim Vorspiel, dem norwegischen Namen für die Feier vor der Party, also bei diesem Vorspiel und den Gesprächen vor dem Spiel sicher keine Grenzen. Nur bei der von Housemate Aniela vorgebrachten Idee eines Nackt-Saunagangs, wurde der heißen Osloerin ganz, ganz kühl. In Norwegen laufen die Mädels zur Abitur-Feier nackt durch Oslo, aber niemals nackt in die Gemischtsauna. Solche entkleideten Angelegenheiten waren auch für Taka, der Japaner unter uns, schlicht unvorstellbar. Taka war mehr von der Mission des Studierens von Economics wie auch Hip-Hop beseelt und verwundert angetan von der europäischen Partystudienmentalität. Eine Mentalität, die sich vor allem in den ersten Wochen von der europäischen Keimzelle auf die gesamte Hausgemeinschaft ausbreitete. Aber dennoch hat sich ein jeder auch ernsthaft dem Curriculum zugewandt. Es galt, die zwei Paragraphen umfassende, am Kühlschrank festgemachte „Constitution of 46 Dell Road: 1.) Party hard, study hard. 2.) Don’t touch others’property!” einzuhalten. In unterschiedlicher Intensität haben alle sich selbst wie die anderen dazu angestiftet, die auferlegten Regeln und auch den Sauber-Reinemachen-Plan zu befolgen. Zu befolgen, wie der Ruf des täglichen Ice-Coffees at Tanja’s Café unter den Bogenrundungen des weiten und historisch anmutenden UQ-Campi. Die institutionalisierte und konstituierende Grundlage für die Planungsgespräche zwischen den Vorlesungen und der Anbahnung der Abendgestaltung. Letztlich knüpfte sich in und um unser Haus ein asiatisch-europäisch-australisches Netzwerk, in das sich später sogar der ein oder andere Amerikaner verirrte.
Kulturvermischung Down Under
Die Dell-Road-Welt der relativen Ordnung wurde nicht nur von ständig sich abwechselnden Kurz- und Langfristbesuchern belebt. Es herrschte ein reger und anregender Meinungs- und Stimmungsaustausch zu den Unterschieden und Gleichheiten in der Wahrnehmung dieser Welt. Ein von Toleranz und gegenseitigem Interesse geprägter Dialog – definitiv spannender als diese abgedroschene Formulierung. Ein Austausch, geprägt vom Drang, wissen zu wollen, was der andere zu wissen meint. Dieser geteilte Durst nach der unerschöpflich erscheinenden Quelle hatte die vielfältigsten Konsequenzen: Neben den Essgewohnheiten der im Haus vertretenen Länder wurden auch zunehmend Denk-, Fühl- und Verhaltenswelten erforscht. Eine Forschung, die beim fast allabendlichen gemeinsamen Dinner auch endlose forsche Gespräche über Wichtiges wie Unwichtiges zu Tage brachte. So vermischten sich zwischen den Stühlen die Liebes- und Leidensgeschichten mit dem damals Aktuellen. Begleitet von den Berichten von „The Australian“, der überregionalen Tageszeitung, die unser Haus bereicherte, haben wir den australischen Wahlkampf verfolgt und das Absetzungsverfahren gegen den koreanischen Präsidenten diskutiert. Diskussionen, die genau so in jeder deutschen Studenten-WG stattfinden könnten und doch immer etwas anders ausgefallen wären. Anders ausgefallen sind, da sich die Perspektiven zwischen den Kontinenten verschieben und die Gespräche uns so von Abend zu Abend näher aneinander brachten. Da waren die Themen fast völlig egal, denn letztlich spiegelten sich immer wieder die Erfahrungs- und Kulturtraditionen in den Denk- und Meinungsweisen jedes einzelnen von uns nieder.
So merkte jeder, dass er wohl mehr von seiner Heimat in sich trägt, als er vorher vielleicht gedacht hätte. Und jeder merkte auch, wie spannend und erweiternd die Perspektive des jeweils anderen sein kann. Völlig egal, ob es um Geschichtliches, Politisches oder nur auf den ersten Blick völlig banales Alltagsverhalten ging. Letztlich wurde so im alltäglichen Leben unser Englisch wohl mehr poliert als durch die – im Vergleich zu Deutschland – vielen Referate und Hausarbeiten, die für die Uni anzufertigen waren. Vor allem aber wurden Freundschaften gebildet, die bis heute – ein Jahr danach – noch intensiv halten. Besuche in Norwegen, Deutschland, Japan und Korea wurden schon abgestattet – weitere sind geplant. Die Zeit an der UQ war „the best time of my life“ (Zitat Marie). Eine Bereicherung, die unvergessen bleibt.
Subjektive Australien-Tipps
_Versuche spätestens zur Orientierungs-Woche da zu sein, dann wird die Wohnungssuche weniger stressig.
_Wer nicht nur auf die sagenhafte australische Landschaft steht, sondern sich auch kulturell nach mehr sehnt, sollte Sydney, Melbourne oder Brisbane als Studienort wählen. Schon hier hat Brisbane für eine Stadt mit 1,5 Mio. Einwohnern in Relation weniger zu bieten als die Städte von New South Wales, kann dafür aber mit dem sonnigsten Wetter kontern.
_Vermeide die reinen „Landsmannschaften“, insbesondere die Deutschen, die sich an jeder Uni bilden. Genug deutsche Erfahrungen kann man ja in der Heimat machen.
_Gehe schon zu Anfang des Semesters in die Clubs der Universitäten – von Sport bis Wine-and-Food-Association – um schnell Kontakte zu knüpfen.
_Study hard and party hard!